Das vergangene Jahr im Zeichen der Digitalisierung

Wenn es im vergangenen Jahr ein Wirtschaftsthema gab, das vielfach diskutiert wurde, dann war es zweifelsohne die Digitalisierung. Besonders heiß wurde die Digitalisierung der Arbeitswelt thematisiert. Das Interessante daran ist, dass es vermutlich wenige Themen gibt, die derart heiß diskutiert werden, obwohl praktisch niemand genau weiß, was er damit eigentlich meint. Wenn man in derartigen Diskussionsrunden die Frage stellt, was die diskutierenden Parteien eigentlich genau meinen, wenn sie von Digitalisierung sprechen, werden die Ausführungen in der Regel ziemlich dünn. Und das ist bedenklich. Im Kontext der Digitalisierung durften im vergangen Jahr die zwei Schlagworte Industrie 4.0 und Fintech natürlich nicht fehlen. Auf den ersten Blick haben diese nicht viel miteinander zu tun, außer ihrer thematischen Eingruppierung in den Kontext der Digitalisierung. Bei genauerer Betrachtung lassen sich aber, und zwar genau wegen ihres Bezugs zur Digitalisierung, wichtige Parallelen ziehen.

Fangen wir mit dem Begriff Industrie 4.0 an, der eine Anspielung auf die 4. industrielle Revolution ist. Der Begriff bezeichnet mehr oder weniger die Veränderung der klassischen industriellen Produktion hin zu autonom miteinander agierenden Teilsystemen unterschiedlicher Akteure der Wertschöpfungskette und anderer Stake holder. Vielfach wird dieser Sachverhalt dahingehend (falsch?) vereinfacht, dass man die autonome Interaktion lediglich auf die Produktion bezieht. Ein typisches Beispiel dafür ist, dass man von einem Halbzeug ausgeht, welches weiß, zu welcher Maschine es als nächstes zur Bearbeitung muss und welches Produkt für welchen Kunden mal aus ihm werden soll. Soweit so gut. In einer etwas vereinfachten Form gibt es das allerdings schon in vielen Großkonzernen. Auch die wirtschaftliche Machbarkeit sehr kleiner Losgrößen, die vielfach als eines der Ziele von Industrie 4.0 genannt wird, ist teilweise schon Realität. Da dürfte das, was man mit der Digitalisierung bezeichnet, lediglich die Steuerung und Verwaltung modernisieren. Personaleinsatzplanung mit dem Tablet oder das Monitoring von Maschinen mit dem Smartphone sind keine wirklich disruptiven Innovationen. Bereits vor ca. 5 Jahren habe ich mit dem Smartphone im Büro den Status meines Messauftrages überwachen (und auch in den Auftrag eingreifen) können, der am Prüfstand eine Etage tiefer durchgeführt wurde. Glaubt man hingegen den avantgardistischen Branchenvertretern, sind aber insbesondere die neuen Geschäftsmodelle, die sich aus der Kopplung der unterschiedlichen Teilsysteme entwickeln lassen, die eigentlich treibenden Kräfte.

Der Begriff Fintech hingegen ist ein Kofferwort, was die Verknüpfung von Finanzthemen mit (Informations-) Technologie beschreibt. Gemeint sind damit softwarebasierte Dienste, die in der Finanz- und Versicherungsbranche angesiedelt sind. Die darauf basierenden Geschäftsmodelle liegen insbesondere in der Startup-Szene derzeit absolut im Trend und lagen in 2015 stark im Fokus der Medien, nachdem der Begriff bereits 2014 populär wurde. Auch das Risikokapital für Fintech-Startups floss in 2015 in durchaus respektabler Höhe. Teilweise werden sogar die beliebte Blasenbildung und die damit drohenden Risiken aufgeführt. Derzeit betätigen sich die meisten Fintechs allerdings auf Gebieten, die man dem klassischen Banking zuordnen kann. Kredite, Zahlungsverkehr, Trading und ähnliche Dienstleistungen, die man als Kunde bereits kennt, wenn auch in einer anderen Form. Eine weitere Gruppe der Fintech-Startups befasst sich mit Themen, die die internen Prozesse von Banken und Versicherungen betreffen. Werbewirksam wird dann insbesondere das Schlagwort Big Data mit angeführt. Letzten Endes sind aber auch unter diesen Firmen keine Geschäftsmodelle zu finden, die eine Wertschöpfung an Stellen generieren, die bisher nicht vorhanden waren. Wenn man automatisiert mit statistischen Methoden gezielt Nutzererfahrungen der Kunden im Onlinebanking verbessert, betreibt man nichts anderes als Werbung, nur mit neuen Mitteln. Auch das Durchforsten von Kundendaten, um mit den Ergebnissen bessere Produkte oder Dienstleistungen entwickeln zu können oder Risiken zu bewerten, ist keine wirkliche Innovation, sondern im Grunde ein längst überfälliges Aufholen des Standes der Technik.

Vergleicht man nun die Entwicklungen zu den beiden Begrifflichkeiten Industrie 4.0 und Fintech, dann stellt man fest, dass sie eigentlich nichts gemeinsam haben. Richtig. Jedenfalls bis jetzt. Macht man sich die Mühe und erdenkt sich das ein oder andere Geschäftsmodell, was fernab der aktuellen Betätigungsfelder liegt, dann werden Dienste, die Finanzdienstleister der Industrie für teures Geld verkauft haben, nicht mehr nötig sein. Oder anders ausgedrückt: Den Banken, Versicherungen und einigen Beratungsgesellschaften werden langfristig wichtige Geschäftsfelder wegbrechen. Ein mögliches Beispiel ist die Absicherung von Währungsrisiken. Dieses erträgliche Geschäft fällt weg, wenn Produktions- und Absatzsysteme auf internationaler Ebene autonom miteinander interagieren. In diesem Zuge eröffnen sich den Unternehmen der sogenannten Realwirtschaft aber auch Betätigungsfelder, die bisher Domänen der Finanzbranche und branchenspezifischen Beratern waren.

Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass die Finanzbranche stark reguliert ist. Was dabei vergessen wird ist aber, dass insbesondere die Finanzdienstleistungen selbst reguliert sind, nicht jedoch die Geschäfte, wegen denen die Finanzdienstleistungen in Anspruch genommen werden. Wenn man beides nicht, wie derzeit, voneinander entkoppelt betrachtet und das eigentliche Geschäft wieder in den Vordergrund stellt, dann spielt die Regulierung für vieles keine nennenswerte Rolle mehr. Und darin liegt die eigentliche Chance. Die Digitalisierung bietet den Markteilnehmern aus der Industrie und den Marktteilnehmern der Finanzbranche die Möglichkeit, dass Finanz- und Versicherungsdienstleister, die Realwirtschaft und die mit beiden interagierenden Marktteilnehmer (also praktisch wir alle) wieder auf eine sinnvolle Weise miteinander wirtschaften.

Die Parallelen zwischen Industrie 4.0 und Fintech aufgrund der Digitalisierung können folgendermaßen zusammengefasst werden. Beide wirtschaftlich-technologischen Felder befinden sich am Anfang einer größeren, umwälzenden Entwicklungsphase. Das Denken in gewohnten Mustern und die Unfähigkeit des interdisziplinären Arbeitens dominieren die Entwicklungen. Die etablierten Unternehmen haben bisher die Chancen noch nicht begriffen und versuchen lediglich, ihre bisherigen Prozesse mit neuen Mitteln zu verbessern. Sowohl die Finanzbranche als auch die Industrie produziert derzeit keine nennenswerten Innovationen. Startups beider Branchen setzen zwar neue Technologien schnell um und führen sie mehr oder weniger erfolgreich am Markt ein, das Denken in neuen Geschäftsmodellen fällt aber sowohl der Finanzbranche als auch der produzierenden Industrie schwer. Die Kundschaft ist sowohl im industriellen als auch im finanziellen Umfeld enorm konservativ geprägt und ihre Bedürfnisse können nur schwer hinsichtlich der Machbarkeit neuer Geschäftsmodelle interpretiert werden.

Die Digitalisierung hat bisher also vorwiegend begrifflich begonnen. In dwenigen Unternehmen findet sie bereits statt und einige denken bereits in digitalen Geschäftsmodellen. Bis dieser Zustand aber flächendeckend ankommt und zu Innovationen führt, wird es noch eine Weile brauchen.

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Veröffentlicht unter Finanzboulevard, Innovation

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