Nachdem Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler öffentlich eine Wiederbelebung des Neuen Marktes forderte, war, wie erwartet, eine Kontroverse in gewissen Kreisen die Folge. In diesem Zusammenhang wurde auch ein öffentlicher Brief an unseren Bundeswirtschaftsminister verfasst. Verfasser ist der Ben Esser, einer der Gründer des Startups Urbanara. In seinem Schreiben fordert Esser eine Abwendung von der Wiederauflage eines neuen Neuen Marktes. Stattdessen folgen eine Lobhudelei der Schwarmfinanzierung und eine Einladung zur Unterstützung in dieser Sache.
Abgesehen davon, dass es sich um eine vortrefflich geglückte Marketingaktion für Urbanara handelt, sind einige Aspekte des öffentlichen Briefes von Esser an Rösler aber durchaus sehr interessant.
Einleitend fordert Esser eine Unterstützung bei der Etablierung der neuen öffentlichen Beteiligungssysteme. Welche er konkret meint, schreibt er leider nicht. Es ist nämlich ein beträchtlicher Unterschied, ob man beispielsweise eine Plattform wie Bergfürst nutzt und damit die etablierten Strukturen unseres Finanzsystems nutzt oder aber diese etablierten Strukturen aufbrechen will. Letzteres wäre das, was zeitgemäß, zukunftsweisend und im Sinne eines Wirtschaftssystems ist, welches primär mit echten Dienstleistungen und Produkten Geld verdient. Nichtsdestotrotz Ist die generelle Forderung von Esser allerdings absolut zu begrüßen – die Strukturen der Finanzbranche müssen aufgebrochen werden und dafür ist eine Etablierung neuer Beteiligungssysteme erforderlich. Die Crowdfunding-Modelle oder neudeutsch ausgedrückt Crowdinvesting bieten dafür eine vernünftige Basis.
Als Begründung für die Forderung werden vier Argumente aufgeführt. Als erstes wird postuliert, dass junge Unternehmen keine „Börse light“ benötigen. Viel mehr Argumentation folgt dann leider nicht mehr. Lediglich eine Zusammenfassung der Problematik und der Versäumnisse des Neuen Marktes. Richtigerweise wird aber auch angeführt, dass primär die Verletzung von Pflichten, das Verschweigen von Risiken, fehlende Transparenz und Missbrauch für den GAU des Neuen Marktes verantwortlich war. Man könnte auch einfach kurz und knapp sagen, dass es aufgrund von Gier und krimineller Energie zu dem kam, was damals passierte.
Als zweites Argument wird aufgeführt, dass es in Deutschland einen Nachholbedarf an Partizipation gebe und keinen Kapitalmangel. In Wirklichkeit wird aber nicht Partizipation gemeint, sondern Verantwortung! Kapital ist in der Tat vorhanden. Noch nie war es für Startups so einfach Kapital über das Internet einzusammeln wie heute. Den Punkt mit der Verantwortung muss man erklären. Esser führt auf, dass eine Beteiligung der Kunden für Reputation, für Loyalität und steigende Bekanntheit führt. Reputation und steigende Bekannt steigen sicherlich an, aber der Punkt mit der Loyalität ist fraglich. Wer soll bitte wem gegenüber loyal sein und warum? Wenn ein Anleger eine Beteiligung eingeht, verhält er sich solange loyal, solange seine Beteiligung zu dem führt, was er möchte. Das trifft sowohl in monetärer als auch in politisch-sozialer Hinsicht zu. Wenn Anleger und Kunde in Person gleich sind, dann wird die Loyalität auch dann aufs Spiel gesetzt, wenn Produkte und Dienstleistungen nicht die Erwartungen erfüllen. Oder handelt es sich um die Loyalität des Unternehmers? Die Loyalität eines Geschäftsführers oder Unternehmensvorstands ist einem Zielkonflikt (Eigentümer/Aktionäre, Kunden, Lieferanten, Angestellte, Kommune, etc.) unterworfen und wird täglich einer Zerreisprobe unterworfen. Ein weiteres Problem am Begriff der Loyalität ist, dass er im Geschäftsleben mit einem „Geschmäckle“ belegt ist. Entscheidungen sollten nämlich nicht aus Loyalität, sondern aufgrund von Tatsachen und Sachverstand getroffen werden. Das gilt auch für das mögliche Lemming-Verhalten von Anlegern, die evtl. aufgrund von Loyalität in Investitionen gezogen werden, die sie sonst nicht eingegangen wären (beispielsweise durch explizite oder implizite Nachschusspflichten). Weiterhin wird aufgeführt, dass durch die Beteiligung wichtige Impulse für Produkte und Dienstleistungen gegeben werden. Auch das ist richtig, allerdings nicht vollständig. So kommt es darauf an, ob für das Produkt oder die Dienstleistung ein Feedback nötig und gewollt ist. Um aber wieder auf den Begriff Partizipation zu kommen: Partizipation würde heißen, dass man aktive Mitgestaltungsrechte hätte. Derzeit hat der Schwarm aber weitgehend nur das Recht Hinweise zu geben. Daher ist der Begriff Verantwortung passender. Der Anleger entscheidet eigenständig wo er sich mit welchem Betrag beteiligt und hofft auf zwei Dinge: Rendite und Wachstum für ein Unternehmen, welches er gut findet. Das führt dazu, dass er sich primär mit Unternehmen befasst, die Produkte und Dienstleistungen anbieten, welche für sein Leben entscheidend sind. Dafür nimmt er in Kauf, dass er evtl. einen Totalverlust erleidet. Er verantwortet demnach also sowohl die wirtschaftliche Zukunft in seinem Umfeld und sein angelegtes Kapital. Verantwortung bezeichnet auch, dass man sich auf Beteiligungen einlässt, ohne die schutzversprechende Welt von Anlageberatern, Vertrieblern und Banken nutzen zu müssen.
Damit ist man direkt beim dritten Argument. Es wird mit einer Überschrift eingeleitet, die zwischen Crowdinvesting und Risikokapital unterscheidet. Das ist natürlich fatal, da so ziemlich alle Schwarmfinanzierungen (ob man es jetzt Crowdinvesting oder Crowdfunding nennt ist unerheblich) eine Risikokapitalbeteiligung darstellen. Das, was anschließend beschrieben wird stellt die Art und Weise des IPOs dar, welches Urbanara gewählt hat. Dass ausgerechnet die BaFin aufgeführt wird, um zu kennzeichnen, dass Schwarmfinanzierungen über Unternehmen, die sich in ihrem Handeln in das etablierte Finanzsystem eingekauft haben, ein Argument zur Förderung von Crowdfunding/Crowdinvesting sein soll, bleibt allerdings offen. Auch der Vorteil eines von der BaFin akkreditierten Wertpapierverkaufsprospekts ist schleierhaft. Die BaFin prüft primär formal, weniger inhaltlich und kriminelle Absichten würden dadurch lediglich teurer, nicht aber unmöglich.
Das vierte Argument ist die Transparenz beim Crowdinvesting. Diese würde Anlageberatung überflüssig machen. Damit hat Esser völlig recht! Transparenz ist das Wichtigste bei Kapitalanlagen. Diese Transparenz wird weder von der BaFin, noch von einem Wertpapierhandelsgesetz noch von sonstigen Regularien umgesetzt. Es ist längst Zeit für klare Darstellungen von Unternehmen, die Beteiligungen anbieten und für andere Finanzprodukte. Einige Versicherer haben mit Klarverträgen bereits einen Schritt in die Richtung unternommen, in die Banken und andere unbedingt gehen müssen. Einfache Sprache, schematische Darstellungen und das Schaffen von Verantwortung für Emittenten und den Vertrieb würden ein echter Mehrwert sein. Dann kann man sich das BaFin-Prospekt sparen!
Die Inhalte der Argumente von Esser sind durchaus richtig. Eine Begründung gegen einen neuen Neuen Markt sind sie allerdings nicht. Vielmehr begründen sie das Schaffen neuer Regeln und neuer Marktplätze, die ohne viele Regularien, dafür aber mit Verantwortung und Transparenz punkten. Ob man das nun Neuen Markt, Neuer Markt 2.0, Crowdfinance oder aber Schlaraffenland nennt, spielt keine Rolle! Tatsache ist, dass Esser etwas fordert, was gar nicht so weit weg von dem ist, was man aus der Forderung Röslers machen könnte, wenn man denn innovativ und zukunftsweisend handeln wollte.
Auch, wenn Röslers Forderung im Ansatz gar nicht schlecht ist, stellt man sich nun natürlich die Frage, was er in Californien getrieben hat. Es ist schwer vorstellbar, dass ausgerechnet das hochinnovative Silicon Valley eine derart trübtassige Idee, wie eine Wiederauflage eines institutionalisierten Handelsplatzes motiviert.
Wünschenswert wäre es aber dennoch, wenn Rösler oder ein möglicher Nachfolger die Finanzbranche etwas transparenter und liberaler gestalten würde.
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